Vor genau drei Monaten begann die Gedenkaktion MITTEN UNTER UNS zum Gedenken an die ehemaligen Häftlinge des KZ-Außenlagers Adlerwerke in Frankfurt am Main. Die blau-grau gestreiften Stoffbinden mit Namen oder Nummern sind im Gallus, am Museumsufer in Sachsenhausen auf dem Paulsplatz und auf der Zeil zu sehen. Die Binden, von denen jeweils eine für einen der ehemaligen Häftlinge steht, verschwinden jedoch seit geraumer Zeit aus dem Stadtbild. Dieser Vorgang ist kein geplanter Teil des Projekts gewesen. Nicht die Natur in Form von Sturm und Regen, sondern Menschen haben sich daran zu schaffen gemacht und zerstört, was ihnen nicht gefällt. An manchen Orten ist nur eine versuchte Entfernung zu beobachten und der Stoff hängt gelockert an den Bäumen. An anderen Orten liegen die Binden heruntergerissen am Boden und an weiteren Stellen fehlen sie gänzlich.
Auf den ersten Blick lösten diese Zerstörungen und die Diebstähle doch eine gewisse Enttäuschung in mir aus. Natürlich hatte ich mir ein wenig mehr Respekt aus der Bevölkerung im Umgang mit dem Thema des Gedenkens und meiner Arbeit gewünscht. Es kam jedoch so, dass nicht nur ich diesem Schwund betrübt entgegensah, sondern auch zahlreiche Menschen auf mich zukamen und mir ihre Beobachtungen schilderten. Sie drückten ihre Empörung und Wut darüber aus und es wurde sogar Anzeige erstattet. Die Leute beschrieben die genauen Orte, an denen die Binden fehlten oder sie heruntergerissenen Stoff gefunden hatten und fragten, was damit zu tun sei. Viele zeigten sich engagiert, um eine Schadensbegrenzung vorzunehmen: Sie befestigten noch vor Ort gelockerte Stoffbinden mit behelfsmäßigen Verknotungen oder erneuerten eingerissene Ösen. Wieder andere Menschen nahmen die Binden mit nach Hause, wuschen und flickten sie und gaben sie an den Sammelorten im Historischen Museum und im Gallustheater wieder ab. Wenn ich selbst vor Ort zerstörte Binden zwecks heimischer Reparatur entfernte, kamen sogar vereinzelt Menschen entrüstet auf mich zu und stellten mich zur Rede.
MITTEN UNTER UNS ist eine Aktion, die für einen begrenzten Zeitraum konzentriert etwas bewirken möchte. Daraus ist nun ein Kreislauf entstanden, denn Aktionen lösen auch immer Reaktionen aus, die nicht planbar sind.
Ein Teil der Reaktionen sind konkrete und persönliche Äußerungen: per E-Mail, in den sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook, im Gästebuch der Webseite, in Blogs und auch die Presse hat auf die Aktion reagiert.
Die Beschädigungen der Installation sind wiederum anonyme Reaktionen. Die Motivation zum Diebstahl und zum Vandalismus bleibt unbekannt. Es können Menschen sein, die aus einem politischen Grund handeln oder sich auch aus Unwissenheit und mit Zerstörungslust an der Installation vergreifen. Und letztlich mag vielleicht auch mancher ein kostenloses Souvenir zum Mitnehmen darin gesehen haben. Aber auch die Menschen, die meine Arbeit beschädigen tragen ihren Teil dazu bei, dass die Installation im Gespräch bleibt. Auf jede sichtbare Zerstörung gibt es auch wieder Antworten: Ein großer Teil von uns empört sich darüber, setzt sich aktiv für den Schutz der Installation ein und zeigt sich für den Erhalt dieser Gedenkaktion mitverantwortlich. Das ist gut so! Ein weiteres Fazit dieses destruktiven Verhaltens ist jedoch auch, dass leider zu viele Menschen noch nicht genug aus den Geschehnissen von damals gelernt haben und Aktionen wie MITTEN UNTER UNS weiterhin sehr wichtig sind!
Im August und September finden weitere Gedenkaktionen statt, in denen nochmals 400 Stoffbinden installiert werden und die Präsenz der Binden im Stadtbild wieder verstärkt wird. Wenn Sie uns dabei unterstützen möchten, können Sie sich hier über die Webseite hier anmelden.
Hier einige Bilder der Reaktionen aus der Stadt Frankfurt. Weitere Bilder finden Sie hier in der Kategorie “Reaktionen”. Foto auf der Startseite: Renate Ullrich