Im Kulturamt betreut Frau Dr. Snejanka Bauer als Projektleiterin die Kunstinstallation MITTEN UNTER UNS. Sie berichtet hier über die Zerstörungen der Stoffbinden und den Moment, als die Polizei ihr einen Teil der am Tatort gesicherten Stoffbinden ins Kulturamt brachte.
Erst nachdem der Polizist gegangen war, und ich den Durchschlag der Strafanzeige in den Händen hielt, schaute ich auf die zwei Beutel voller beschädigter Kunstwerke, die er mitgebracht hatte. Die Tüten waren voll mit zerstörten Kunstobjekten: Stoffbinden, angebracht an Bäumen, die an die Opfer eines KZs hier in Frankfurt am Main, das vor siebzig Jahren in den Adlerwerken existierte, erinnern sollen. Nun hatte jemand diese Stoffbinden mutwillig zerschnitten.
Damit die Kunstobjekte nicht anschimmelten – in der Nacht hatte es geregnet – brachte ich sie ins Bad und fing an, sie aufzuhängen, damit sie trocken konnten. Ein mulmiges Gefühl überkam mich. Nein, kein Schmerz, sondern ein mir bis dahin unbekanntes Grausen. Als ob die Stoffbinden auflebten, schäbig und zersplissen, hingen sie da. Und dann kam mir die Gewissheit: In der Nacht hatte jemand – nach genau 70 Jahren – diese Häftlinge zum zweiten Mal ermordet. Wie durchnummerierte Rinderkadaver hingen sie da. Nein, viel schlimmer, wie all die Häftlinge selbst, kläglich, lautlos, und doch laut schreiend. Aber niemand hatte ihre Schreie damals gehört. Letzte Nacht nun war auch niemand da, um das „Morden“ zu verhindern. – Natürlich handelt es sich um Stofffetzen mit aufgenähten Nummern. Hier und da tauchen Namen einzelner Häftlinge auf.
Wie auf dem Seziertisch, in einer Leichenhalle, liegt „Tadeusz Lewandowski“ noch in der Plastikplane. Ob Blut fließen wird, wenn ich die Stoffbinde mit der Wasserbrause reinige? Der Name „Lewandowski“ bringt mich zurück in die Realität. Ich denke an Robert Lewandowski, den Fußballspieler Fußballspieler und seine genialen Tore. Ob er je etwas über das Schicksal von Tadeusz Lewandowski gehört hat? Hat dieser Tadeusz es verdient, ein solch tragisches Schicksal zu haben, nicht „nur“ damals im KZ den Tod zu finden, sondern auch jetzt – 70 Jahre später – zum zweiten Mal zu sterben?