Im September war ich an zwei Abenden in Wiesbaden in einer Reha-Klinik. Dort war für einen zweiwöchigen Aufenthalt gerade eine Gruppe von etwa 20 Herrschaften aus Polen, die Überlebende von Konzentrationslagern sind. Organisiert wird diese Erholungsreise jedes Jahr durch den Verein “Zeichen der Hoffnung – Znaki Nadziei” e.V. in Kooperation mit einer Stiftung. Der Verein ist eine evangelische Initiative, die für eine bessere Zukunft von Polen und Deutschen arbeitet und u.a. Aufenthalte und Besuche von Zeitzeugen organisiert. Auch der Überlebende Andrzej Branecki war schon mit in Wiesbaden; in diesem Jahr leider nicht.
Dr. Hermann Düringer, Vorstandsvorsitzender von “Zeichen der Hoffnung”, hatte mich eingeladen, MITTEN UNTER UNS in Wiesbaden vorzustellen. Inzwischen habe ich unzählige Male vor Publikum über mein Projekt berichtet, man könnte mich wahrscheinlich aus dem Tiefschlaf wecken und ich wäre erzählbereit. – Anders war es dieses Mal: trockener Hals, zittrige Stimme, stammelnde Worte und angespannte Stimmung. Dabei der Blick in versteinerte Gesichter, die alle auf mich gerichtet waren. Ich kannte ihre Namen nicht und wusste nicht, was sie jeweils erlebten hatten und auch nicht, was sie über mein Projekt denken würden. Eine weitere Barriere war die Sprache, denn es musste immer alles auf Polnisch/Deutsch übersetzt werden. Aber Daria Schefczyk, Geschäftsführerin des Vereins, hat die Kommunikationsprobleme wunderbar gelöst und alles übersetzt. Ich hatte viel Material mitgebracht, Bilder, Flyer, Ausdrucke von Plänen und Listen, die allesamt in kürzester Zeit vergriffen waren – was ich auch als positives Zeichen empfand. Letztlich gab es zu meiner Erleichterung auch ein positives Feedback von einigen Überlebenden. Natürlich haben nicht alle etwas gesagt, so dass vielleicht auch negative Haltungen dabei waren, von denen ich nicht weiß. Am zweiten Abend, als wir den Film (leider zu dem Zeitpunkt noch ohne polnische Untertitel) gesehen haben, war dann die Atmosphäre gelöster. Frau Schefzyk berichtete mir, dass entgegen meiner Befürchtungen, die Gruppe insgesamt von dem Projekt berührt und dankbar über dieses Gedenken an polnische Opfer war.
Als Anregung kam, dass es besser gewesen wäre, die originalen Häftlingsnummern zu verwenden. Für MITTEN UNTER UNS wurden fiktive Nummern, fortlaufend bis 1600, verwendet. Aus Bad Arolsen habe ich einige Transportlisten, etwa 40 Seiten, die belegen, wer wann in das KZ-Adlerwerke gebracht wurde. Die Schrift auf den Listen ist teils stark verschwommen und schlecht lesbar. Es war für mich nicht möglich, diese Listen mit Namen und Nummern zu digitalisieren. Gleichzeitig hätte die Herausforderung bestanden, diese Listen mit der vorliegenden Grabesliste der im KZ-Adlerwerke ermordeten Männer abzugleichen, um “Überschneidungen” herauszuarbeiten. Die Liste umfasst 528 Namen; neuere Erkenntnisse haben ergeben, dass es doppelte Namen gibt, so dass es 518 Männer sind, die hier auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben sind. Aus meiner Sicht wäre die Digitalisierung dieser Transportlisten ein eigenes Projekt für eine/n HistorikerIn.
Weiter gab es den Vorschlag, kleine rote Dreiecke mit einem “P” auf die Stoffbinden zu nähen. Alle KZ-Häftlinge trugen seit dem Jahr 1937 an ihrer Kleidung unterhalb der Gefangenennummer einen Winkel, der während der Gefangenschaft einen großen Teil ihrer Identität verkörperte. Das rote Dreieck war das Zeichen für einen “politischen Häftling”, versehen mit einem “P” war es der Hinweis auf die polnische Herkunft des Häftlings. Da etwa 1300 der Gefangenen Aufständische aus dem Warschauer Aufstand waren, hätte man das sicher auch bei 1300 Stoffbinden so machen können. Weitere 300 Häftlinge stammten aus sieben anderen Nationen und waren aus unterschiedlichen, mir nicht bekannten Gründen inhaftiert, so dass es hier schwierig gewesen wäre, die “richtige” symbolische Markierung zu finden und anzubringen. Ich unterliege in diesem Projekt natürlich bestimmten historischen Fakten, bin aber letztlich Künstlerin und keine Historikerin.
Mit einigen Damen habe ich noch etwas länger zusammen gesessen und sie haben mir etwas von sich erzählt. Eine davon ist Sabina Nawara, eine rüstige Dame aus Warschau. Sie war als junges Mädchen in Auschwitz und gehört zu den wenigen, die dieses Lager überlebt haben. Inzwischen ist sie 93 Jahre alt und macht immer noch Zeitzeugengespräche in Schulen. Sie hat mir ihre Häftlings-Nummer gezeigt, die ihr damals tätowiert wurde. Wir haben ein Foto zu Erinnerung an unsere Begegnung gemacht. Neben ihrer Uhr sieht man die Tätowierung. Es war eine wunderbare Begegnung mit Frau Nawara, für die ich unglaublich dankbar bin!
Insgesamt waren es zwei sehr eindrucksvolle Abende, an denen ich den Menschen begegnen durfte, für die MITTEN UNTER UNS und die weiteren Gedenkprojekte stattfinden. Ich habe auch noch mit einem Geschwisterpaar länger sprechen können. Über Hanna und Jozefa, deren Vater in den Adlerwerken ermordet wurde, berichte ich demnächst.